Antrag und Rede: Mindeststandards für touristische Besuche am Welterbe Mathildenhöhe

Antrag für die Stadtverordnetenversammlung vom 14.12.21:

Herstellung eines Mindeststandards für touristische Besuche am Welterbe Mathildenhöhe

Die Stadtverordnetenversammlung möge beschließen, der Magistrat wird aufgefordert,

an der Künstlerkolonie Mathildenhöhe grundlegende infrastrukturelle Maßnahmen zu ergreifen, um den Besuch des UNESCO Weltkulturerbes möglichst attraktiv zu gestalten. Darunter konkret:

 

• Installation von Radabstellplätzen mit hohen Bügeln in unmittelbarer Nähe der Welterbestätte, des Museums Künstlerkolonie sowie des Hochzeitsturms.

• Installation von soliden Wegweisern zur Wegführung für Besucher*innen rund um das und im Kerngebiet der Künstlerkolonie Mathildenhöhe.

• Anbringen von Informationstafeln und an allen relevanten Stellen des Ensembles an der Künstlerkolonie in Verbindung mit einem Audio-Guide.

• Schaffung und Bereitstellen von angemessenen Personalressourcen, um nötige Maßnahmen kurzfristig zu realisieren und relevante touristische Angebote sicherzustellen

• Ausweitung des musealen Angebotes (Führungen) im Museum Künstlerkolonie als einzigem zentralen Anker-Ort bis zur Fertigstellung der Sanierungsarbeiten am Ausstellungsgebäude

 

Begründung

Mehr als vier Monate sind seit der Ernennung der Künstlerkolonie Mathildenhöhe zum UNESCO Weltkulturerbe verstrichen. Handfeste Maßnahmen, um diesem Titel auch unmittelbar gerecht zu werden, lassen jedoch auf sich warten. Vielmehr scheint das Potenzial des UNESCO Weltkulturerbe-Titels für die touristische Vermarktung in Darmstadt leichtfertig verspielt zu werden. Das erstaunt und besorgt selbst unsere Fraktion, als entschiedene Gegnerin der Welterbe-Bewerbung.

Der Besuch der Künstlerkolonie Mathildenhöhe lässt eine ganze Reihe grundsätzlicher Standards für historische Kulturstätten vermissen. Während das Areal weiterhin einer Großbaustelle gleicht, finden Besucher*innen weder ausreichend Wegweiser noch informierende Tafeln mit Wissenswertem zu dem vom Jugendstil geprägtem Ensemble vor. Auch an Abstellmöglichkeiten für Fahrräder mangelt es, insbesondere in unmittelbarer Nähe zum Museum Künstlerkolonie. Für Führungen durch die Ständige Sammlung im Museum Künstlerkolonie wird aktuell auf der Website www.mathildenhoehe.eu nur ein einziger Termin im Monat angeboten!

Wie sollen sich angesichts dieses defizitären Angebotes erinnerungswürdige Erlebnisse und positive Erfahrungen bei Besucher*innen herstellen lassen?

Besucher*innen der Künstlerkolonie Mathildenhöhe sind derzeit vor allem mit gravierenden Mängeln konfrontiert. Es steht zu befürchten, dass sich auf Grund dieser bereits jetzt erhebliche negative Dynamiken für das Ansehen und künftiges Marketing der Künstlerkolonie Mathildenhöhe als Teil des UNESCO Weltkulturerbes festsetzen.

Erfahrungsberichte von Besucher*innen in Form von Online-Reviews und in Sozialen Medien sind wirkungsmächtige Mechanismen, die sowohl für professionelle Reiseveranstalter als auch Individualreisende und Interessierte zentrale Funktionen als Entscheidungs-Weichen einnehmen und deren nachhaltige Auswirkungen nicht zu unterschätzen sind.

Unverzüglich gilt es daher einen Mindeststandard für touristische Besuche an der Künstlerkolonie Mathildenhöhe herzustellen, der Besucher*innen Anreise per Rad und auch Teilhabe an dem kulturell-historischen Erbe der Mathildenhöhe ermöglicht, etwa durch Zugang zu Informationen und Hintergrundwissen mittels Wegweisern, Informationstafeln, Audio-Guides, Führungen etc.

Wir danken für die wohlwollende Prüfung unseres Antrags.

Vielen Dank.

Kerstin Lau, Marc Arnold, Sebastian Schmitt, Carmen Stockert, Till Mootz

 

Rede von Kerstin Lau zu diesem Antrag und zum Antrag Erhalt OHA Osthang

Wir erinnern uns alle an den legendären Nachmittag, an dem „wir“ Welterbe wurden: es war der 24.Juli 2021 gegen 15.30 Uhr.

An diese Entscheidung war die Bedingung der Unesco geknüpft, dass das Besucherzentrum nicht in der geplanten Nähe zum historischen Ensemble errichtet werden dürfe. Trotz eines gültigen, bestehenden Parlamentsbeschlusses, der Magistratsvorlage 2020/305 und dem Bebauungsplan 032 vom 16. Oktober 2020  sagte der OB sagte diese Änderung eigenmächtig zu. Das Besucherzentrum muss nun also an anderer Stelle gebaut und bis zum 01.02.2022 eine neue Planung vorgelegt werden.

Ich will jetzt gar nicht in Frage stellen, ob der OB das Recht hatte, diese eigenmächtige Entscheidung, die einen Parlamentsbeschluss einfach so aushebelte und zuwiderläuft, zu treffen, auch wenn das durchaus einer Überlegung wert wäre.

Wichtiger ist für uns aber, dass das Gebiet des Kulturortes OHA Osthang sowie der angrenzenden Grün-und Freiflächen, insbesondere in Richtung Fiedlerweg, erhalten bleibt. Dort ist ein kulturelles Kleinod entstanden, das als beliebter und etablierter Raum für junge, unabhängige, unkonventionelle und unkommerzielle Kultur erhalten bleiben muss.

Es sind genau solche Orte wie der OHA Osthang, die eine Stadt liebenswert machen. Und es gibt keine adäquate Alternativfläche in der Stadt.

Es wäre paradox, wenn für historische Kultur dieser wertvolle Kulturort zeitgenössischer Kultur zerstört würde. Das steht uns nicht zu. Wir bitten deshalb darum, das geplante Besucherzentrum an einem anderen Standort als dem OHA Osthang anzusiedeln.

Gehen wir noch einmal zurück zu diesem denkwürdigen Tag, als wir Welterbe wurden. Die prognostizierten Menschenmassen von fast 3.000 (genau: 2.700) Besuchern pro Tag, also 1 Million Gäste pro Jahr lassen auf sich warten. Und das ist auch gut so, muss man ehrlicherweise sagen.

Denn obwohl mit Hochdruck an der Hochzeit gearbeitet wurde, hat man irgendwie vergessen, die Braut herzurichten. Auf der Mathildenhöhe quellen morgens die Mülleimer über, es gibt keine Informationstafeln und Wegweiser, noch nicht mal Fahrradständer sind vorhanden. Als wäre es nicht schlimm genug, dass überall Bauzäune rumstehen.

Dazu kommt, dass die nötigen Personalressourcen fehlen, um relevante touristische Angebote sicherzustellen. Auch die Führungen im Museum Künstlerkolonie als einzigem zentralem Anker Ort müssten bis zur Fertigstellung der Sanierungen im Ausstellungsgebäude ausgeweitet werden.

Uns war der Welterbe Titel nie wichtig, aber nun, da wir ihn haben, sollten wir auch alles tun, um ihm gerecht werden.

Besucher*innen des Welterbes sind vor allem mit Mängeln konfrontiert. Und wir haben Angst, dass sich dieses negative Bild schnell in der Welt verbreiten wird. Durch negative Online-Reviews in sozialen Medien könnten sowohl Reiseveranstalter*innen als auch Individualreisende nachhaltig von einem Besuch der Mathildenhöhe abgeschreckt werden. Und diese Kritiken bekommt man nie mehr aus dem Netz. Deshalb fordern wir, dass der Magistrat unverzüglich einen Mindestandard für touristische Besuche unseres Welterbes herstellt, damit alle Anreisenden, ob per Auto oder Rad, Vergnügen an der Besichtigung der Mathildenhöhe haben.