Antrag und Rede: Konzeptentwicklung „Haus für Industriekultur“ und „Schriftgießerei Gerstenberg“

Dieser Antrag wurde von Uffbasse in der Stadtverordnetenversammlung am 02. November 2023 vorgestellt. Der Vorstoß knüpft an die Debatte um die Schriftgießerei Gerstenberg im Haus der Industriekultur an. Die Hintergründe hierzu findet Ihr hier.

In der Stadtverordnetenversammlung wurde beschlossen, dass der Antrag in „geschäftsordnungsgemäße Behandlung“ gegeben wird. OB Hanno Benz, als Kulturdezernent, hat zugesagt, die Beteiligten zeitnah an einen Tisch zu bringen und den Prozess moderierend/mediierend zu gestalten.

Antrag:

Die Stadtverordnetenversammlung möge beschließen, der Magistrat wird gebeten,

  • Gespräche mit dem Direktor des Hessischen Landesmuseums Darmstadt (HLMD), Hr. Dr. Martin Faass aufzunehmen und darauf hinzuwirken, dass
    1. die zu Ende Dezember 2023 an Hr. Gerstenberg ausgesprochene Räumungsaufforderung der Schriftgießerei im „Haus für Industriekultur (HIK)“ zurückgenommen wird.
    2. ein schriftlicher Mietvertrag mit angemessener Kündigungsfrist (um im Falle einer Kündigung durch das HLMD angemessene Zeit für das Suchen von Ersatzräumen und die Räumung der Maschinen haben zu können) aufgesetzt wird
    3. oder zumindest die Frist für die Räumung angemessen verlängert wird, bis eine Lösung für die Schriftgießerei gefunden werden kann.
  • In einem weiteren Schritt wird der Magistrat gebeten, auf das Land Hessen einzuwirken, das Haus für Industriekultur in eigene Zuständigkeit zu nehmen und aus der Verwaltung des HLMD zu entlassen. Mit der Übernahme durch das Land Hessen würden sich weitere Nutzungsmöglichkeiten ergeben.
  • Da sowohl das Land, das HLMD als auch die Stadt selbst nicht über die notwendigen finanziellen Ressourcen für die Sanierung des denkmalgeschützten „Haus für Industriekultur“ verfügen, sollte ebenfalls über die Möglichkeit nachgedacht werden, dass „Haus für Industriekultur“ für einen symbolischen Preis an einen privaten Investor zu verkaufen mit der Auflage, einen Teil der Räumlichkeiten, z.B. das Erdgeschoss und eine weitere Etage für die Öffentlichkeit und ein Museum einzuplanen.
  • Unabhängig von der Inhaberstruktur möge die Stadt Darmstadt ein Nutzungskonzept des Hauses für Industriekultur entwickeln, dass der Bedeutung des Gebäudes und der Stadtplanerischen Entwicklung des PaMo (Pallaswiesen-Morneweg) Viertels gerecht wird.
  • Für die Schriftgießerei Gerstenberg und das denkmalgeschützte Gebäude generell als ehemalige „Möbelfabrik Ludwig Alter“ ist zu prüfen, wie diese in das touristische Vermarktungskonzept für das Welterbe Mathildenhöhe eingebunden werden kann.

 Begründung:

Seit einiger Zeit spitzt sich die Situation um das Haus für Industriekultur und die Schriftgießerei Gerstenberg zu. Das Hessische Landesmuseum hat der Schriftgießerei eine Aufforderung zur Räumung der Räumlichkeiten für Ende Dezember 2023 ausgesprochen. Die Begründung lautet, dass es keinen schriftlichen Mietvertrag gäbe, die Schriftgießerei nichts zahle und darüber hinaus auch gewerblich aktiv sei. Unabhängig davon, dass es einen mündlichen Mietvertrag gibt, ließe sich die Problematik des fehlenden Mietvertrags sicherlich schnell beheben, zumal die Schriftgießerei bereit ist, eine Miete und Nebenkosten zu zahlen.

Ungeachtet des großen Drucks, der hier auf die Schriftgießerei aufgebaut wird, hat das Hessische Landesmuseum bekundet, dass in den nächsten 15-20 Jahren keine finanziellen Mittel für die Sanierung des denkmalgeschützten Gebäudes zur Verfügung stehen. Das entstehende freigeräumte Areal auf der Etage im HIK, dass nach der von Herrn Dr. Faass geforderten Räumung der Schriftgießerei entsteht, soll auch keiner neuen Nutzung zugeführt werden, sondern würde leer stehen. Daraus folgend kann das Haus nur zeitnah saniert werden, wenn es unter einer anderen Verwaltung als der des HLMD stünde. Ansonsten ist es innerhalb der nächsten 15-20 Jahre dem Verfall überlassen.

Dies ist für die Stadtplanung und vor allem für die Entwicklung des Pallaswiesen-Mornewegviertels (PaMo) eine Katastrophe. Das „Haus für Industriekultur“, das eigentlich ein denkmalgeschütztes Schmuckstück und eine große Bereicherung darstellt, kann nicht weitere 15 bis 20 Jahre hinter einem Gerüst versteckt werden, nur weil die öffentliche Hand keine finanziellen Ressourcen zur Verfügung hat. Für die geplante städteplanerische Entwicklung und Aufwertung des Viertels wäre dies ein großer Rückschritt.

In der professionellen Schriftgießerei im „Haus für Industriekultur“ werden Drucklettern in allen Sprachen für andere Institutionen weltweit angefertigt. Darmstadt ist die wichtigste oder sogar noch einzige Anlaufstelle, so dass andere Museumsdruckereien weltweit durch die „Räumung der Schriftgießerei aus dem HLMD“ in ihrer Existenz gefährdet sind. Hierzu gibt es eine Petition für den Erhalt der Schriftgießerei mit Unterschriften aus der ganzen Welt.

Dieses wichtige Kulturgut gilt es zu erhalten. Hr. Gerstenberg ist 70 Jahre und möchte sich aus der aktiven Schriftgießerei zurückziehen bzw. seine Arbeitszeiten einschränken und eine Nachfolgerin einarbeiten. Dies zum Anlass zu nehmen, die ganze Schriftgießerei auf die Straße zu setzen und Darmstadt einer wichtigen Attraktion zu berauben, kann und sollte politisch nicht einfach stillschweigend akzeptiert werden. Es gilt, sowohl eine tragfähige Perspektive für die Schriftgießerei als auch für das „Haus für Industriekultur“ zu entwickeln.

Wir danken für die wohlwollende Prüfung unseres Antrags. Vielen Dank.

Kerstin Lau, Marc Arnold, Sebastian Schmidt, Carmen Stockert, Till Mootz

 

Rede von Kerstin Lau

Es geht um dieses schöne alte Haus in der Kirchenallee, das seit Jahren von einem Gerüst bedeckt wird und unter der Verwaltung des Hessischen Landesmuseums steht. Das Haus für Industriekultur ist ein wichtiger historischer Ort in Darmstadt. So arbeitete unter anderem der Widerstandskämpfer Wilhelm Leuschner als Holzbildhauer 1909 in der Fabrik.

In diesem Haus betreiben seit 2001 20 Ehrenamtliche im Erdgeschoss und im ersten Stock die Abteilung Schriftguss, Satz und Druckverfahren als Teil des Hessischen Landesmuseums. Geöffnet ist diese Außenstelle an nur einem Tag der Woche. Der Besuch ist nur nach Anmeldung möglich. Informationen hierzu finden sich auf der Webpräsenz des Hessischen Landesmuseum eher versteckt.

Im dritten Stock betreibt Herr Gerstenberg seine Schriftgießerei, die aber auch für Führungen offensteht. Herr Gerstenberg hat seit 2003 einen mündlichen Vertrag mit dem HLMD, dem das Gebäude damals übertragen wurde.

In der professionellen Schriftgießerei im „Haus für Industriekultur“ werden noch Bleilettern wie vor 100 Jahren gegossen. Rainer Gerstenbergs Schriftgießerei in Darmstadt ist einer der letzten Orte weltweit, an dem das möglich ist. Das 500 Jahre alte Kulturgut der handwerklichen Druckkunst hat die UNESCO 2018 in die Liste des immateriellen Weltkulturerbes aufgenommen. Insgesamt sind circa eine Million Matrizen im Haus für Industriekultur gelagert. Darmstadt ist damit eine der wichtigsten Anlaufstellen für andere Museumsdruckereien weltweit.

Der ihnen/Euch vorliegende Antrag verfolgt quasi zwei Handlungsstränge.

Der eine Handlungsstrang ist, dass für das Haus für Industriekultur Perspektiven entwickelt werden müssen. Vom Hessischen Landesmuseum wurde artikuliert, dass es in den nächsten 15 bis 20 Jahren keine finanziellen Möglichkeiten gebe, das Haus zu sanieren. Das Haus weitere 15 bis 20 Jahre verfallen zu lassen, wäre nicht nur schade wegen des Erhalts dieses denkmalgeschützten Gebäudes. Es ist auch schlichtweg eine extreme Einschränkung für die Umsetzung der bereits erfolgten stadtplanerische Entwicklung des gesamten Pallaswiesen und Mornewegviertels.

Der andere Handlungsstrang betrifft die Schriftgießerei Gerstenberg, Das Hessische Landesmuseum hat der Schriftgießerei eine Aufforderung zur Räumung der Räumlichkeiten für Ende Dezember 2023 ausgesprochen, nachdem der siebzigjährige Herr Gerstenberg angekündigt hatte, er wolle den Betrieb der Schriftgießerei zurückfahren. Die Begründung des Hessischen Landesmuseums lautet, dass es keinen schriftlichen Mietvertrag gäbe, die Schriftgießerei nichts zahle und darüber hinaus auch gewerblich aktiv sei. Letzteres ist tatsächlich ein Problem, aber keines, was man nicht lösen könnte, denn Gewinne werden sicherlich nicht erzielt. Die Problematik des fehlenden Mietvertrags ließe sich sicherlich schnell beheben, zumal die Schriftgießerei bereit ist, eine Miete und Nebenkosten zu zahlen. Sogar einen Ausbildungsplatz – in Verantwortung des HLMD – würde Herr Gerstenberg gerne betreuen.

Hier hat sich eine interessante Entwicklung im Nachgang zu einem von Uffbasse zu dieser Thematik veröffentlichten Artikel ergeben. Herr Dr. Faass hat in einem Kommentar darauf hingewiesen, dass Herr Gerstenberg die Bereitschaft zur Zahlung einer Miete und Nebenkosten ihm gegenüber noch nie geäußert habe. Vielleicht lässt sich also zumindest im Hinblick auf die gegenüber Herr Gerstenberg ausgesprochene Kündigung schnell eine Lösung finden.

Jedenfalls steht dort im dritten Stock eine riesige Sammlung historischer Maschinen. Diese sind nicht nur groß und sperrig und schwer, sondern auch sehr wertvoll. Es ist zu befürchten, dass die historischen Maschinen bei einem Umzug Schaden nehmen könnten, von dem Verlust für Darmstadt ganz zu schweigen.

Auch wenn das Haus für Industriekultur nicht der Stadt gehört, so steht es doch auf städtischem Gebiet und die Schriftgießerei könnte eine wichtige Attraktion auch im Zusammenhang mit der zukünftigen Vermarktung des Weltkulturerbe werden. Deshalb sollte die Schriftgießerei Darmstadt möglichst erhalten bleiben.

Konzeptionell ist ja grundsätzlich alles denkbar, selbst der Verkauf des Gebäudes an einen Investor, der unter Berücksichtigung des Denkmalschutzes sanieren  und  ein bis zwei Etagen an die Stadt oder das Land vermieten könnte, wäre dem stetigen Verfall in den nächsten 15 bis 20 Jahren vorzuziehen.

Wir bitten deshalb den Magistrat beziehungsweise den Oberbürgermeister, hier moderierend und vielleicht auch mediierend  Verhandlungen mit dem Hessischen Landesmuseum, der Staatskanzlei und Herr Gerstenberg aufzunehmen und dafür zu sorgen, dass sowohl für die Schriftgießerei als auch für das „Haus für Industriekultur“ eine tragfähige Perspektive entwickelt wird. Im Vorfeld der Stavo wurden wir gefragt, ob die Behandlung in Geschäftsordnung für uns okay ist und wir sind damit einverstanden, damit dieses zeitkritische Thema schnell umgesetzt werden kann.

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