Thorsten Nagelschmidt liest aus „Arbeit“

In elf Episoden verwebt Thorsten Nagelschmidt in seinem neuesten Roman Portraits, die unter den Eindrücken von Corona unfreiwillig ganz besondere Relevanz erfahren.

Das vierte Werk des Autors, der bis vor ein paar Jahren noch unter dem Pseudonym „Nagel“ wirkte und mittlerweile auch wieder für seine Punk-Band Muff Potter singt und Gitarre spielt, hat Berlin zum Schauplatz. Genauer: das rauschhafte Nachtleben der Hauptstadt.

An diesem Sehnsuchtsort wirft „Arbeit“ das Licht jedoch nicht auf die bereits viel beschriebenen glamourösen Akteure des Kulturlebens also DJs, Künstler*innen und Musiker*innen, sondern auf vermeintliche Randfiguren. Auf einen Taxifahrer, Sozialarbeiter, Türsteher, eine Rettungssanitäterin, eine Lieferservice-Kurierin … Menschen, die das Feiern überhaupt erst möglich machen. Menschen, die arbeiten, während sonst niemand arbeitet.

„Ich glaube, dass sich durch die durchschnittliche Zwölfstundenschicht eines Taxifahrers oder einer Notfallsanitäterin mehr über eine Stadt erzählen lässt, als durch Drei-Tage-Wach in einem angesagten Club“, erklärt der Autor, der mit seinen Protagonist*innen zentrale sozialökonomische Schieflagen unserer Gesellschaft abbildet.

„Als ich in den Nullerjahren nach Berlin zog hieß es noch, dort würde niemand arbeiten, da würden alle nur feiern. Mal abgesehen davon, dass die Stadt immer teurer und normaler wird, war das damals schon eine sehr verkürzte und ignorante Aussage, die viel über die Wahrnehmung oder Nichtwahrnehmung von Privilegien und Klassenstrukturen in diesem Land aussagt. Oft wird vergessen, dass man sich auch das Feiern in den coolen Clubs erst einmal leisten können muss. Nicht nur finanziell, sondern auch gesundheitlich, durch die »richtige« Herkunft oder Hautfarbe oder durch das Erlernen der richtigen Codes, um es am Türsteher vorbei zu schaffen.“

Erschienen ist „Arbeit“ im Frühjahr kurz nach dem Corona-Lockdown, der dem wuseligen Geschehen der 336 Seiten plötzlich zusätzliche Bedeutung zukommen ließ. Mit dem Sichtbarmachen derer, die die Infrastruktur des Nachtlebens, Kulturlebens und Alltags aufrechterhalten, greift der Roman der Debatte zur Systemrelevanz von Berufen, zu der sich die breite Öffentlichkeit scheinbar erst angesichts leergeräumter Klopapier-Regale hinreißen ließ, klug geschrieben vorweg.

Am 30. Juni 2020, 20 Uhr (Einlass 19 Uhr), stellt Thorsten Nagelschmidt in der Centralstation „Arbeit“ persönlich vor. Einlass gibt’s an der Abendkasse für 8 Euro (ermäßigt 6 Euro).

Eine sehr gelungene Rezension findet Ihr bei der Süddeutschen Zeitung:

https://www.sueddeutsche.de/kultur/roman-runterkommen-1.4910482