Bemerkenswert, was der Darmstädter Staatstheater-Intendant John Dew bei einer Veranstaltung am 8.9. im „Darmstatium“ zu seiner Idee von Theater formulierte: Es sei nicht seine Aufgabe, Theater auf Marktplätze zu tragen sondern er habe ein großes Haus mit Wagner-Opern und Carl Orff zu füllen. Die Zeit der 1970er Jahre, als ein Claus Peymann Essener Studierende in Busse packte und zu seiner Brecht-Inszenierung „Die heilige Johanna der Schachthöfe“ fuhr, was wochenlange Gespräche an Ruhrgebiets-WG-Küchentischen übers Theatermachen nach sich zog, sei vorbei. „Ohnehin hat man in der Fabrikhalle damals nichts verstanden, ich war auch da“. Sagt der Darmstädter Theater-Intendant.
Auch die Zeit der Aktionen des heutigen Bonner Theaterchefs Klaus Weise, der Leute mit der Eisenbahn auf Kohlehalden oder in Klärwerke brachte, um dort hochpolitisches Theater zu machen, ein vorbei, behauptet John Dew. Immerhin: Er habe ja auch ein Ulrike Meinhof-Stück modernisiert. Insgesamt aber gelte: Die Zeit des 68er Agit-Prop im Theater sei vorbei, es gehe nun darum, das große Erbe zu verwalten und vor allem die zeitlos guten Stoffe der Shakespeares und Brechts und Wagners im Staatstheater zu spielen, weil das nur dort gehe. Die Studierenden von heute erreiche man über stark ermäßigte Eintrittskarten. Punktum.
Also wird es wohl auch künftig keine Schauspieler geben, die geschminkt als kulturelle “Rattenfänger von Hameln” in die Erstsemestereinführungen gehen und die Studies mit Kostproben ihrer Kunst ins Theater locken. Keine Aufführungen im kleinen Schlosstheater über der Bibliothek, um auch mit Stücken mal dahin zu gehen, wo die Studierenden ohnehin sind. Kein “Wassertheater” im grandiosen Untergrund der Mathildenhöhe, das sicher auch Gesprächsstoff für Wochen geben würde – wie eine Theateraktion am Woog, in dem nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen möglicherweise der Mörder seine Hände wusch, der Georg Büchner den Stoff für seinen “Woyzeck” lieferte…
„Wir arbeiten schon jeden Tag hart, mehr geht nicht. Man müsse auch mal Urlaub machen.“ – sagte John Dew, als Jürgen Barth ihn kritisierte, er spiele im Sommer und Herbst monatelang nur wenige Stücke.
Dass im Darmstädter Theater fleißig gearbeitet wird, bezweifelt niemand. Doch es bleibt das Gefühl, das Staatstheater ist trotzdem in der Stadt wenig präsent, sorgt nicht für nachhaltige Diskussionen oder wenigstens ab und an für künstlerische Highligts, an die man sich lange erinnert. So, wie es das Institut Mathildenhöhe immer wieder schafft – etwa mit der Expressionismusausstellung.
26 Millionen jährlich Subvention, Herr Dew! Das verpflichtet zu mehr, als zum Verwalten eines zweifellos wertvollen künstlerischen Erbes. Das muß auch heißen, tagtäglich Wege zu suchen, wie man vor allem junge Leute für dieses Erbe begeistert. Dazu muss man allerdings in der Tat ab und zu raus aus seinen heiligen Hallen – auch auf die Marktplätze und in die Fleischfabriken. Denn dort spielt auch das Drama des Lebens, Herr Dew!
- “Johanna: Wo wohnt der Mauler?
- Die Arbeiter: Dort, wo das Vieh gehandelt wird, in einem der großen Gebäude, der Viebörse.
- Johanna: Dort will ich hingehen, denn ich muß es wissen.
- Martha (eine von den schwarzen Strohhüten): Misch dich nicht hinein da! Wer viel fragt Kriegt viele Antworten.
(…) - Johanna: Ich will´s wissen.”
…aus: “Der Zusammenbruch der großen Fleischfabriken, Szene in Brechts “Die heilige Johanna der Schlachthöfe”
dazu das DE vom 10.9.2011 “Darmstadt ist schöner als Dortmund”