Sehr geehrte Damen und Herren,
ich erspare uns einen erneuten Überblick über die formalen Geschehnisse und komme zu den für uns wesentlichen Fragen.
1. Reißer erlässt eine Allgemeinverfügung. Das Innenstadtverbot. Darf er das? Ja, als Leiter des Ordnungsamtes darf er eine Allgemeinverfügung erlassen. War das eine kluge Entscheidung? Nein, das war weder eine gute noch eine kluge Entscheidung, aber er hat damit keinen Rechtsverstoß gemacht. Es war eine Entscheidung innerhalb seiner Befugnisse.
2. Jeder, der sich von einer Allgemeinverfügung gestört fühlt und rechtliche Bedenken hat, kann dagegen klagen. Eine Allgemeinverfügung gilt immer nur für den nicht mehr, der geklagt hat, für alle anderen gilt die Allgemeinverfügung weiterhin. Ich erinnere an den Widerspruch gegen einen Steuerbescheid, der Bescheid gilt auch immer nur für den jeweiligen Kläger, nicht für die Allgemeinheit.
3. Durfte Reißer an der Allgemeinverfügung festhalten, nachdem es die ersten Klagen gab? Ja, die Stadt bzw. der Ordnungsdezernent hat das Recht, die Allgemeinverfügung aufrecht zu halten. Rechtswidrig wäre es gewesen, wenn Reißer die sechs ersten Kläger, deren Klagen vor dem Verwaltungsgericht stattgegeben wurde, NICHT in die Stadt gelassen hätte. Das wäre ein Rechtsverstoß gewesen. War es klug, an der Allgemeinverfügung festzuhalten und die Begründung des Verwaltungsgerichts zu ignorieren? Nein, das war weder eine gute noch eine kluge Entscheidung, aber es war kein rechtlicher Fehler. Es war eine Entscheidung innerhalb seiner Befugnisse.
4. Reißer nimmt samstagmorgens die Allgemeinverfügung zurück. Darf er das? Ja, darf er. Er hat den Ermessenspielraum die Verfügung aufzuheben. War das eine kluge Entscheidung? Zu diesem Zeitpunkt war der Zug der klugen Entscheidungen leider schon abgefahren und es gab nur noch Verlierer. Ich werde später darauf zurückkommen.
Und auch wenn es die Uwiga immer wieder so hinstellen möchte: worüber wir hier reden ist kein Rechtsverstoß von Reißer, sondern wir reden von inhaltlich falschen Entscheidungen.
Woran lag es nun aber, dass Reißer inhaltlich so falsch entscheidet? Warum war er nicht in der Lage, eine sogenannte „informierte Entscheidung“ zu treffen? Eine informierte Entscheidung ist eine Entscheidung, bei der man sich die nötigen Informationen von Menschen besorgt, die das nötige Wissen besitzen. Also zum Beispiel Fanbetreuer, Fansprecher, die Vereine, die Polizei, Rechtsanwälte.
Wen hatte Reißer als Berater? Er hatte die Polizei und er hatte zwei Rechtsanwälte in seinem Amt. Wir wissen nicht, was ihm die Rechtsanwälte im Ordnungsdezernat geraten haben. Aber wir wissen, dass es ein dringliches Ersuchen von Seiten der Polizei gab, angesichts der polizeilichen Lageeinschätzung ein allgemeines Aufenthaltsverbot zu verhängen. Die Polizei rechnete mit bis zu mehreren Tausend Eintracht Fans. Vorzuwerfen ist Reißer, dass er nicht aktiv andere Personen als Berater hinzugenommen hat sondern sich blind auf das Polizeipräsidium Süd verlassen hat. Der Vorwurf, er sei nicht von Rechtsamt beraten worden, hat sich jedenfalls dadurch entkräftet, dass er zwei Rechtsanwälte in seinem Team hat, die seit Jahrzehnten alle ordnungspolitischen Prozesse für die Stadt führen. Man hat also sowas wie eine Spezialisierung unter den RA in der Verwaltung vorgenommen – und dagegen kann man angesichts der Fülle der Rechtsgebiete auch nichts einwenden.
Ungünstig bei der Betrachtung seiner Entscheidung ist, dass er bei der vor jedem Spiel üblichen Sicherheitsbesprechung drei Tage vor dem Spiel nicht selbst anwesend war, sondern sich vertreten ließ. In dieser Sicherheitsbesprechung wurde die Allgemeinverfügung von verschiedenen Seiten durchaus sehr kritisch gesehen. Ob diese Kritik Reißer zurückgemeldet wurde, lässt sich nicht nachvollziehen. Was es jedoch drei Tage vor einem Derby wichtigeres gegeben haben könnte als an dem Sicherheitsgespräch teilzunehmen, kann man sich kaum vorstellen. Hier zeigt sich ein Fehlverhalten des Dezernenten.
Reißer hat also ganz deutlich eine inhaltlich falsche Entscheidung getroffen. Die Maßnahme der Allgemeinverfügung war weder geeignet, noch erforderlich, noch verhältnismäßig um die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten. Aber wer von uns hat – auch im Berufsleben – noch keine falsche Entscheidung getroffen? Einigen, die hier ganz vorne in der Reihe der Kritiker stehen, würde hier etwas Demut sehr gut zu Gesicht stehen.
Reißer war in einer extremen Stresssituation. Er war einem extremen Medienhype ausgesetzt und er hatte die falschen Berater. Die Bild Zeitung tituliert 8000 gewaltbereite Fans im Anmarsch auf Darmstadt, im Stadion ist die Angst groß, von den Eintracht Fans überrannt zu werden. Und mittendrin Rafael Reißer, der überhaupt keinen Einblick hat in Fankulturen. Der die Situation teilweise überschätzt, teilweise unterschätzt, aber im Prinzip aus Mangel an eigenen Erfahrungen seinen falschen Beratern ausgeliefert ist. Und wer möchte auch denken, dass es bei der Polizei Menschen gibt, die die Situation weiter eskalieren, obwohl sie eigentlich genug Erfahrung haben? Es sind – darauf möchte ich ausdrücklich hinweisen – nur sehr wenige bei der Polizei, die eskaliert haben. Zum Beispiel Herr Denninger. Aber genau diesen zählte Reißer zu seinen Beratern.
Und warum stürzen sich eigentlich alle nur auf Reißer? Der Magistrat ist ein Kollegialorgan und bei einem solchen Ereignis würden wir uns denken, dass die anderen Dezernenten unterstützen. Wo waren die anderen? Ich verstehe auch die Rolle von Jochen Partsch nicht an der Stelle. Wieso konnte er die Situation von den USA aus nicht beurteilen? Es gab ja keine konkrete Situation, der es akut zu begegnen galt, das meiste hat sich vor dem Derby ja in den Köpfen der Menschen abgespielt. Ein OB ist ein OB, auch wenn er in den USA ist. Wir sind heute alle immer erreichbar, wieso steht alleine Reißer als Bauernopfer in der Kritik?
Das Traurige ist, das wir alle verloren haben. Rafael Reißer hat im Augenblick eh verloren, egal was er sagt oder tut, die Stadt hat an Reputation verloren und sich lächerlich gemacht und trauriger Weise hat der SVD an diesem Tag auch noch verloren. Und wir verlieren weiter. Wir verlieren weiter mit jedem Tag, an dem dieses unwürdige Dramatisierung weiter geht, an dem SPD, FDP und Uwiga scheinbar keine anderen politischen Inhalte mehr haben, als das längst vergessene Derby.
Es ist unglaublich, wie diese unglückliche Kette von Fehlentscheidungen polarisiert, wie sie sogar dazu benutzt wird, sein persönliches Schicksal damit zu verknüpfen, siehe Herr Klett…… verstehen kann man diese extreme Emotionalität nicht wirklich.
Rafael Reißer war nach einer persönlichen Einladung bei uns in der Fraktion. Jede Fraktion hätte ihn darum bitten können – aber da es scheinbar nicht um die Wahrheit, sondern um Selbstinszenierung geht, hat das keine der Oppositionsfraktionen außer uns getan. Er hat uns deutlich die Drucksituation vermittelt, unter der er gestanden hat. Er hat uns gesagt, dass er eine Fehlentscheidung getroffen hat. Wir haben gemeinsam mit ihm die Schwachstellen in der Prozesskette zur Sicherstellung der öffentlichen Ordnung bei Fußballspielen deutlich aufgezeigt und er hat uns Verbesserungen zugesagt. Wir werden darüber mit ihm in Kontakt bleiben. Für uns war er überzeugend. Und wir bleiben bei unserer Haltung, dass ein Mensch Fehler machen darf und dass auch ein Dezernent die Möglichkeit haben muss, zu lernen.
- Wir stimmen einer Abwahl nicht zu.
Werte Magistratsmitglieder,
nebensächlich möchte ich zur Sicherheitslage am Merck Stadion am Böllenfalltor noch bemerken, dass mir diese vor Allem in der Südkurve nicht gegeben scheint.
Aus Schutz vor terroristischen Anschlägen (immerhin spielt der SV98 in der medienwirksamen Bundesliga) müsste die Südkurve von Seiten des TEC Darmstadt (also auf der anderen Zaunseite) durch bewaffnetes Sicherheitspersonal gesichert sein.
Oklahoma hat gezeigt, was passiert, wenn ein Terrorist mit einer automatischen Waffe in die Menge ballert.
Und genau dies ist von TEC Seite her möglich.
Das Böllenfalltorstadion ist hinsichtlich diesbezüglicher Lücken mit Sicherheit eines, wenn nicht das schlechteste Buli-Stadion in ganz Deutschland.
Es ist nicht abwegig, dass sich Terroristen diese Lücke zum Ziel machen könnten.
Von daher ersuche ich Sie dieses Anliegen zu erörtern.
Vielen Dank.
Mit freundlichen Grüssen
Jörg Hofferbert
Es ist schön, wenn Herr Reißer in geschlossener Sitzung mit Uffbasse Fehler eingesteht – ich erwarte aber, dass er das auch öffntlich tut. Falls er es getan hat, ist das bisher an mir vorbei gegangen.
Ich halte an meiner Position weiter fest:
http://neunmalsechs.blogsport.eu/2016/ein-bisschen-rechtsstaat-geht-nicht/
Guuude Jörg Hofferbert,
auch da hat wohl Reißer versagt. Nach ihrem Beitrag werde wir verhindern das Reißer Ordnungsdezernent in Oklahoma wird, das können wir Ihnen versprechen!
Zum Thema der Anschlagssicherheit kann ich ihnen nur die Frage stellen wer kontrolliert dann die bewaffneten die am Zaun stehen das von diesen niemand Amok läuft?
Wenn Sie so eklatante Angst haben, es könnte Sie jmd erschießen, erschießen Sie sich am besten selbst. Das ist die sicherste Variante, mit der Sie sicherstellen können, das es niemand anderes tut.
AhOi der seb
Naja, Kerstin, sooo stimmt das aber nicht. Reißer hat das nicht gedurft. Er hat es gekonnt. Das ist keine grammatikalische Spitzfindigkeit, sondern was ganz konkretes. Handlungsmöglichkeiten zu haben, heißt nicht, dass man das darf. Ich darf nicht über eine rote Ampel fahren, aber ich kann es. Ein Dieb darf nicht in ein Haus einbrechen, aber er kann es. Ein Polizist darf einen Demonstranten nicht einfach mit dem Knüppel hauen, aber er kann es.
Nun war die Situation natürlich deutlich komplizierter als diese Beispiele. Und man kann sicher lange darüber diskutieren, ob es bei der Entscheidung, diese Verordnung zu erlassen, für Reißer hätte ersichtlich sein müssen, dass er rechtswidrig handelt. Spätestens aber nachdem das Gericht im ersten Fall geurteilt hat, dass die Verordnung an sich schon offensichtlich rechtswidrig war, war für ihn auch ersichtlich, dass er es nicht gedurft hätte.
Dass er es tun konnte, liegt daran, dass es niemanden gab, der ihn daran hätte hindern können. Die Exekutive ist die handelnde Gewalt, Gerichte reagieren und das üblicherweise auch nur auf Antrag/Klage. Oder einfacher gesagt: wenn ich über eine rote Ampel fahre, weil mich daran keiner hindern kann, darf ich das trotzdem nicht. Ich weiß, dass ich das nicht darf und auch Reißer hat spätestens nach dem ersten Beschluss gewusst, dass er es nicht darf. Das ist ein bewusstes rechtswidriges Verhalten und nicht nur einfach eine dumme politische Fehlentscheidung. Ich darf auch nicht auf jemanden einprügeln, bis ein Richter feststellt, dass das Körperverletzung ist. Wenn etwas offensichtlich rechtswidrig ist, darf ich das nicht tun. Punkt.
Lieber Jörg H.,
ich bleib mal beim Beispiel der roten Ampel.
Jeder weiß, daß man nicht drüber fahren darf, doch stell Dir vor, neben dem, nicht sehr souveränen Fahrer sitzen noch andere im Auto die lautstark fordern doch drüber zu fahren. Und er tut es – wider besseren Wissens.
Im Falle des Erwischtwerdens gibt’s nen temporären Führerscheinentzug, was in diesem Fall vielleicht die öffentliche Kritik und der Abwahlantrag sind, aber niemand muss den Lappen ganz abgeben.
Die Anstifter aber bleiben unbehelligt und das stinkt gewaltig!
Ich hätte mir von Reißer auch noch mehr (öffentliche) Einsicht gewünscht, sehe aber nach wie vor keine Grundlage für eine Abwahl.
Im Wiederholungsfall sähe das, genau wie bei der roten Ampel jedoch anders aus. Bis dahin konzentriere ich mich aber lieber auf die anheizenden Mitfahrer, denn die wussten, im Gegensatz zu Reißer, von Anfang an ganz genau was sie tun (bzw. tun lassen).
Natürlich kann man jetzt sagen, daß ein Dezernent nicht so kopflos agieren darf, aber dann sind wir wieder bei “man kann Fehler machen”.
Ja, aber das Problem ist da, dass sich Reißer ja nicht eindeutig dazu äußert. Was war denn mit den beiden Rechtsanwälten, was haben die ihm genau gesagt? Das kann ich aus allem, was so öffentlich bekannt geworden ist, leider nicht erschließen. Die Polizei zumindest hat meines Wissens nach dem Beschluss eher Druck gemacht, die Verordnung aufzuheben, obwohl die natürlich auch schon beim Erlass hätten wissen müssen, dass das rechtswidrig ist, weil es doch schon extrem offensichtlich war.
Das mit der Abwahl oder nicht, ist eine politische Entscheidung. Da gibt’s keine so klare Antwort drauf. Ich halte es aber für riskant, ihn auf dem Posten zu lassen, weil er offensichtlich davon überfordert ist und er nicht mal wirklich zu verstehen scheint, was er eigentlich falsch gemacht hat. Der Vorschlag der FDP dazu war doch eigentlich ganz okay und ist vielleicht leichter zu machen, als ein Abwahlantrag, wo sich dann ja zwangsläufig Lager gebildet haben. Da war dann ja auch nicht mehr sehr an der Frage, wie verhindert man so was in Zukunft. Und eigentlich sollte es doch darum in erster Linie gehen.
@Carsten
R.Reißer war während der Debatte zu seiner Abwahl nicht anwesend so wie ein Kandidat auch bei einer Wahl zum Dezernenten nicht anwesend ist. Er hat jedoch in einer persönlichen Erklärung, welche der Oberbürgermeister verlesen hat, erstmals klar seinen Fehler eingestanden – in der öffentlichen Sitzung, spät aber immerhin.
@Jörg H.
was “gedurft” oder “gekonnt” angeht, da könnten wir trefflich streiten. Vielleicht können wir uns darauf einigen, dass R.Reißer als Ordnungsdezernent kraft Amtes “berechtigt” ist, Allgemeinverfügungn zu erlassen.
Zur Info – die städt. Juristen im Ordnungsamt hatten sie als “rechtlich grenzwertig, aber vertretbar” eingestuft. Die Bewertung “offensichtlich rechtswidrig” in der Begründung zum Gerichtsbeschluss war dann klar und eindeutig.
der FDP-Antrag, R. Reißer das Ordnungsamt zu entziehen hat einen gewissen Charme, das muss ich zugeben. Da die HGO jedoch eindeutig bestimmt, dass es alleinige Kompetenz des OB ist und dieser selbst an einen einstimmigen Beschluss der Stadtverordneten nicht gebunden wäre, ist es letzlich nur eine unverbindliche Meinungsäußerung der FDP – die Pressemitteilung zu dem Thema hätte es auch getan.
Das hab ich glaub ich auch nirgendwo bestritten, somit dürfte es nicht schwerfallen, sich dahingehend zu einigen.
Wozu er aber keine “Berechtigung” hat, ist eindeutig rechtswidrige Allgemeinverfügungen zu erlassen. Und das war spätestens nach dem ersten Gerichtsbeschluss nicht mehr zu bestreiten. Von daher hätte er es eben nicht “gedurft”. Die Legitimation des Gewaltmonopols der Exekutiven leitet sich in einem Rechtsstaat direkt aus der Unterwerfung der Exekutiven unter das Recht ab. Hält sich die Exekutive nicht an das Recht, hat sie keine Legitimation mehr.
Mir fällt es schwer zu glauben, dass das die Einschätzung von gleich zwei Juristen gewesen sein soll, weil die Verfügung an so vielen Stellen fehlerhaft war, nicht mal den richtigen Paragraphen hat man verwendet. Aber selbst wenn, bleibt doch die Frage, ob Reißer noch mal mit diesen Juristen Rücksprache gehalten hat, nachdem das Gericht den ersten Beschluss rausgehauen hat. Wenn die dann immer noch denselben Quatsch gesagt haben, müsste man tatsächlich auch an sie gehen, weil sie für den Schaden dann mitverantwortlich sind.