Dringlichkeitsantrag zum Abschiebegefängnis in Darmstadt

Vermutlich Ende März soll das ehemalige Gefängnis Fritz Bauer Haus in der Marienburgstraße mit bis zu 75 Abschiebehäftlingen belegt werden.

Wir fragen uns: „Was haben diese Menschen verbrochen, dass man sie einsperrt?

Die Antwort ist leider ganz einfach: Nichts!

Bei Abschiebehäftlingen handelt es sich um Geflüchtete, die in keinster Weise straffällig geworden sind. Geflüchtete, die Straftaten begehen, werden in Justizvollzugsanstalten untergebracht. In Abschiebegefängnissen, egal ob in Darmstadt oder anderswo, werden Geflüchtete verwahrt, die nichts anderes verbrochen haben, als den falschen Aufenthaltsstatus zu besitzen.

Das so häufig verwendete Argument, wenn jemand kriminell ist, müsse man ihn abschieben, ist hier also unabhängig jeglicher politischen Couleur nicht anwendbar. Darum geht es nicht, das sagt selbst die Landesregierung.

Und wir wundern uns. Wir wundern uns, weil wir uns fragen, wie es sein kann, dass sich unsere Partnerstadt Freiberg herausnimmt, entgegen ihrer Verpflichtung dem Land Sachsen und dem Bund gegenüber einen Aufnahmestopp in den nächsten vier Jahren für anerkannte Geflüchtete zu verhängen, und ich wiederhole nochmal: da geht es um anerkannte Geflüchtete – und sich eine weltoffene, bunte und vielfältige Stadt wie Darmstadt widerstandslos eine Abschiebehaftanstalt vom Land aufdrücken lässt?

Darmstadt hat ganz ohne Zweifel herausragendes geleistet in der Arbeit mit Geflüchteten. Zahlreiche Beschlüsse des Stadtparlaments und des Magistrats spiegeln die Weltoffenheit dieser Stadt wider.

Bereits seit Anfang der 2000er Jahre besteht die AG „Weltoffenes Darmstadt“, die jährlich Projekte zur Förderung von Vielfalt und gegen Rassismus und Diskriminierung fördert sowie den Preis „Gesicht zeigen!“ an couragierte Bürger*innen verleiht. Hier fand stets ein Schulterschluss statt zwischen der Politik und Organisationen, die sich für Geflüchtete einsetzen.

Daneben profitiert Darmstadt seit vielen Jahren vom Bundesprogramm „Demokratie leben!“ bzw. dessen Vorgängerprogrammen zur Förderung von Projekten gegen Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus und Demokratiefeindlichkeit.

Eine Stadt, die in diesem Maße Engagement gegen rassistische Gewalt und für Demokratieförderung zeigt, kann sich nicht gleichzeitig an einer Praxis beteiligen, die Menschen, welche woanders vor menschenverachtenden Zuständen fliehen, einsperrt.

In Darmstadt hat der Landesverband der Sinti und Roma seinen Sitz, was uns sehr freut! Beinah jährlich in den letzten Jahren fördert die Stadt begrüßenswerter Weise seine Aktivitäten im Bereich der Erinnerungskultur, aber eben auch sein Engagement gegen den Antiziganismus unserer Zeit in den eben genannten Programmen.

Wollen wir tatsächlich in Darmstadt gegen Antiziganismus kämpfen und gleichzeitig Menschen in Gewahrsam nehmen, um sie dann in osteuropäische Länder zurück zu schicken, in denen sie sich dem – im Grunde – gleichen Antiziganismus ausgesetzt sehen, der in seinen Auswüchsen Verfolgung und Gewalt bedeutet?

Die Wissenschaftsstadt Darmstadt verfolgt in Bezug auf Geflüchtete seit 2012 und darauf sind wir wirklich sehr stolz – das Konzept der „Dezentralen Unterbringung“. In Sonderfällen hat dies nicht immer geklappt, jedoch wurde eisern an diesem Konzept festgehalten und betont wie wichtig dies ist. Und jetzt lassen wir uns von der Landesregierung eine Form der zentralen Unterbringung aufzwingen, die unserem städtischen Konsens zuwiderläuft und unnötig ist?

Die Vielzahl der Aktivitäten für ein weltoffenes Darmstadt verdeutlichen, warum gerade in Darmstadt niemand aufgrund eines fehlenden Aufenthaltsstatus der Freiheit beraubt werden sollte.

Abschiebehaft kriminalisiert Menschen, die vielfach vor Haft geflohen sind oder diese erlebt haben und die von ihrer Flucht noch traumatisiert sind. Aus psychologischer Sicht ist das eine Retraumatisierung. Und Haft ist Haft und das für Menschen, die sich nichts zuschulden haben kommen lassen, ggf. sogar für ganze Familien!

Es ist bigott, auf der einen Seite den Preis Gesicht zeigen zu verleihen und auf der anderen Seite eine Gewahrsamseinrichtung für Geflüchtete auf städtischem Boden zuzulassen und sich so von Darmstadt aus an der Abschiebepraxis des Landes zu beteiligen und das Land dabei zu unterstützen, Menschen, die das Schlimmste erlebt haben von Darmstadt aus in ihre destabile Heimat zurück zu schicken.

Sollte ein Abschiebegefängnis aufgrund rechtlicher Grundlagen nicht zu vermeiden sein, dann wollen wir in einer weltoffenen Stadt wenigstens dafür Sorge tragen, dass die Inhaftierten so behandelt werden, wie die EU Richtlinie es vorsieht und die Initiativen und Organisationen unterstützen, die mit den dort untergebrachten Geflüchteten sozial, juristisch und/oder psychologisch arbeiten ( und die im Übrigen eine große Schnittmenge mit den Initiativen haben, die sich für ein weltoffenes Darmstadt einsetzen.  Besonderes Augenmerk ist hierbei auf die Situation von Familien zu legen.

Wir stellen deshalb folgenden Antrag:

  1. Als weltoffene Stadt beurteilt die Wissenschaftsstadt Darmstadt Abschiebung von Ausländer*innen prinzipiell höchst
  2. Dementsprechend lehnt die Stadt Darmstadt die Einrichtung einer „Gewahrsamseinrichtung für Ausreisepflichtige“ (GfA) überall, jedoch besonders auf dem Stadtgebiet der Wissenschaftsstadt Darmstadt ab.
  3. Die Wissenschaftsstadt Darmstadt nutzt die eingeschränkten, ihr zur Verfügung stehenden Wege, um kontinuierlich die Verhältnisse in der „Gewahrsamseinrichtung für Ausreisepflichtige“ (GfA) in Eberstadt auf die Einhaltung „des Gesetzes über den Vollzug ausländerrechtlicher Freiheitsentziehungsmaßnahmen“ (VaFG) hin zu beobachten und gegebenenfalls gegenüber den zuständigen Stellen zu kritisieren.
  4. Die Wissenschaftsstadt Darmstadt, insbesondere die Dezernate I und V, unterstützt die Aktivitäten aller Initiativen, Gruppen, Verbände und Vereine, welche sich für die soziale, juristische oder psychologische Betreuung der Inhaftierten in der GfA Eberstadt engagieren.
  5. Der Magistrat wird aufgefordert im Deutschen Städtetag, im Hessischen Städtetag und anderen Interessenvertretungen von Kommunen sowie gegenüber der Bundes- und der Landesregierung die unter 1. – 3. beschriebene Position deutlich zu machen.

 

Foto: Larry Farr on Unsplash