Wo Streiks verboten werden, gibt es kein Streikrecht!

Presseerklärung – 04.03.12 von FAU AG-Streikrecht
Wir solidarisieren uns mit dem Streik der KollegInnen von der Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF) am Frankfurter Flughafen.

Das Verbot der Streiks, welches das Arbeitsgericht Frankfurt a.M. auf Wunsch eines Eilantrages von Fraport und Lufthansa verhängt hat, macht wieder einmal deutlich, dass es ein Recht auf Streik in Deutschland kaum gibt. Dieses angebliche verfassungsmäßige Recht kann und wird regelmäßig von niederrangigen Gerichten zugunsten der Unternehmerinteressen außer Kraft gesetzt.
Aus rein formalen Gründen hat das Frankfurter Arbeitsgericht den Streik der Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF) verboten. Zwei Detailforderungen aus dem aktuellen Arbeitskampf würden gegen die „Friedenspflicht“ aus einem alten Fraport-Tarifvertrag verstoßen. Die GdF muss daher den Arbeitskampf am Flughafen abbrechen. Schon gestern Abend hatte der gleiche Arbeitsrichter den geplanten Solidaritätsstreik der Fluglotsen für „unverhältnismäßig“ erklärt und verboten.

Faktisch werden den Beschäftigten in der BRD elementare Menschenrechte vorenthalten, wie etwa das Recht auf gewerkschaftliche Organisation nach ihren eigenen Interessen. Denn was nützt es, wenn wir uns „organisieren“ dürfen, wir aber jedes halbwegs effektive Mittel zur Durchsetzung unserer Interessen verboten bekommen.

Im heutigen ARD-Morgenmagazin wurden die Sprecher der Arbeitgeberverbände deutlich. Sinngemäß: Es könne nicht sein, dass kleine, schlagkräftige Gewerkschaften erfolgreich Lohnerhöhungen durchsetzen, denn dann würden viele Mitglieder die Gewerkschaft verdi verlassen, um auch für höhere Löhne zu kämpfen.

Damit steht das Thema „Tarifeinheit“ – also das Tarifmonopol der größten Gewerkschaft in einem Betrieb – bei den Unternehmerverbänden wieder ganz oben auf der politischen Wunschliste. Schnell reagiert hat auch die Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU), die nach Möglichkeiten suchen will, die „Macht“ kleiner Gewerkschaften einzuschränken. Diese sollen zwar verhandeln, aber nicht für ihre Ziele kämpfen dürfen.

Die FAU befürchtet seit längerem weitere Angriffe auf das Streikrecht, und das, obwohl Deutschland in Bezug auf Gewerkschaftsfreiheit schon jetzt ein Entwicklungsland ist, in dem den Beschäftigten elementare Rechte, die u.a. in den ILO-Konventionen 87 und 98 und der europäischen Sozialcharta definiert sind, vorenthalten werden.

Für uns ist das Recht der Arbeitsverweigerung Teil der persönlichen Selbstbestimmung und ist daher als ein grundsätzliches Menschenrecht aufzufassen, auch wenn es effektiv nur kollektiv ausgeübt werden kann. Ein solches uneingeschränktes Recht auf Streik kann daher nicht auf wirtschaftliche oder tarifliche Auseinandersetzungen beschränkt sein, sondern umfasst auch sogenannte „politische Streiks“. Darüber hinaus setzt sich die FAU nicht nur für die volle gewerkschaftliche Aktionsfreiheit ein, sondern ebenso für ein umfassendes und unantastbares Recht auf Streik für alle abhängig Beschäftigten selbst, egal ob und wo sie gewerkschaftlich organisiert sind oder auch nicht.

Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union – AG Streikrecht
http://www.fau.org/
Hintergrund:
In den allermeisten Staaten ist das Recht auf Streik durch die Verfassungen und/oder durch Gesetze garantiert und geregelt. In einigen Ländern haben Gewerkschaften dieses Recht durch Tarifverträge zusätzlich abgesichert und zum Teil noch über den Verfassungs- und/oder Gesetzesstatus hinaus verbessert.
Im Jahr 2010 war in der Bundesrepublik Deutschland lediglich nur in einem einzigen Tarifvertrag eine Regelung enthalten, die das Streikrecht ausgeweitet hat. In allen weiteren registrierten 73.958 Tarifverträgen finden sich keine Regelungen zum Streikrecht.
Neben der Schweiz und Japan ist Deutschland bei Arbeitskämpfen, die auf den Abschluss von tariflichen Regelungen abzielen, der streikärmste Staat. Auch bei sonstigen Streikformen und deren Häufigkeit gehört Deutschland zu den Schlusslichtern.
Von den 27 Staaten der Europäischen Union ist der politische Streik nur in England, Österreich und Deutschland illegalisiert. Ein Verbot ist indes nirgendwo festgeschrieben. Auch mit den Illegalisierungen von Beamtenstreiks, wilden Streiks, Blockaden, Boykotts, dem Streikverbot durch die christlichen Kirchen, der Einengung von Streikmöglichkeiten nur auf tarifvertraglich regelbare Ziele und den Einschränkungen bei Sympathiestreiks, sind Defizite in unserer politischen und wirtschaftlichen Demokratie verankert.
Diese Illegalisierungen, Einengungen, Einschränkungen und Verbote stehen im krassen Widerspruch zu dem Art. 23 der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen, den Übereinkommen 87 und 98 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), dem Artikel 6 Abs. 4 der Europäischen (Menschenrechts- und) Sozialcharta.
Insbesondere das Verbot aller Streiks, die nicht auf den Abschluss von Tarifverträgen gerichtet sind, bildet eine schwere Verletzung dieser Bestimmungen. Diese Verbote bedrohen unsere Demokratie, da sie als schwere Menschenrechtsverletzung zu qualifizieren sind.
Die Europäische Sozialcharta (ESC) beispielsweise, wurde 1965 für die Bundesrepublik Deutschland verbindlich und stellt einen völkerrechtlichen Vertrag dar, der unter anderem die Gewährung von Arbeitskampffreiheit thematisiert. Nach Art. 6 Ziff. 4 ESC ist es „das Recht der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber auf kollektive Maßnahmen einschließlich des Streikrechts im Falle von Interessenkonflikten“. Die ESC ist eine von Deutschland eingegangene Verpflichtung, an der die Gerichte ebenso gebunden sind wie der Gesetzgeber, der die in der ESC eingegangenen Verpflichtungen in innerstaatliches Recht umzusetzen hat.
Die Arbeitgeberverbände, einzelne Arbeitgeber und wesentliche Teile der Politik versuchen mit unterschiedlichen Maßnahmen die wenigen Streikrechte immer weiter einzuschränken und zurück zu drängen. Große Teile der Massenmedien berichten meist tendenziell gegen Streikmaßnahmen.
Die Gewerkschaften in der Bundesrepublik Deutschland haben seit den 50er Jahren zu geringe Anstrengungen unternommen das Streikrecht oder weitere Kampfformen auszuweiten, oder zu verbessern. Meistens wurden die wenigen bestehenden Rechte eher verteidigt.
Die Organisationsdichte und somit die Durchsetzungskraft der Gewerkschaften ist von 1950 bis 2000 in den Ländern Finnland (+ 47{cc6e9fa4799c65423e7b3aff9df2eb4f369581e8fac009e6ba61f9293a7cdc2c}), Dänemark (+29,7{cc6e9fa4799c65423e7b3aff9df2eb4f369581e8fac009e6ba61f9293a7cdc2c}), Schweden (+13,9{cc6e9fa4799c65423e7b3aff9df2eb4f369581e8fac009e6ba61f9293a7cdc2c}), Italien (+ 8,8{cc6e9fa4799c65423e7b3aff9df2eb4f369581e8fac009e6ba61f9293a7cdc2c}), Belgien (+ 7,0{cc6e9fa4799c65423e7b3aff9df2eb4f369581e8fac009e6ba61f9293a7cdc2c}), Spanien (+4,0{cc6e9fa4799c65423e7b3aff9df2eb4f369581e8fac009e6ba61f9293a7cdc2c}) und Norwegen (+3,3{cc6e9fa4799c65423e7b3aff9df2eb4f369581e8fac009e6ba61f9293a7cdc2c}) gestiegen. Der politische Streik beispielsweise, ist dort ausdrücklich erlaubt oder wird zumindest geduldet bzw. toleriert.
Im gleichen Zeitraum ist u. a. durch den weitgreifenden und freiwilligen Selbstverzicht von Gewerkschaftsvorständen auf das Führen von politisch motivierten Arbeitskämpfen in Deutschland (-11,4{cc6e9fa4799c65423e7b3aff9df2eb4f369581e8fac009e6ba61f9293a7cdc2c}), England (-14,5{cc6e9fa4799c65423e7b3aff9df2eb4f369581e8fac009e6ba61f9293a7cdc2c}) und Österreich (-31,7{cc6e9fa4799c65423e7b3aff9df2eb4f369581e8fac009e6ba61f9293a7cdc2c}) die Organisationsdichte erheblich zurückgegangen.
Quelle: http://politischer-streik.de/