20 Mio Euro in die Kinderbetreuung, nicht in den Straßenverkehr!

Knapp 4 Wochen vor dem Ende der Sommerferien erreichen uns immer noch Briefe verzweifelter Eltern, die noch keinen Kindergarten oder sonstigen Betreuungsplatz für ihr Kind haben.
Nehmen wir mal den Fall eines Kindes, das jetzt im Juli drei Jahre alt geworden ist. Dieses Kind hat einen rechtlichen Anspruch auf einen Kindergartenplatz, befindet sich aber immer noch laut Aussagen der Verwaltung auf einer „Notfallliste“. Die Eltern fragen jetzt, ob sie klagen sollen  – im Prinzip kann man dazu nur sagen: Wenn die Eltern nach dem monatelangen Warten, Formulare ausfüllen und dem Aushalten der Unsicherheit, was denn mit ihrem Kind passiert und wie es mit ihrer Berufstätigkeit weitergehen kann noch die Kraft haben zu klagen, dann sollten sie dass tun.

Der Datenreport der Stadt Darmstadt, der halbjährlich erhoben wird, zeigt ganz deutlich, dass die Zahl der Geburten von 1389 Geburten im Jahr 2006 auf 1490 im Jahr 2007 angestiegen ist.

  • Es war also spätestens 2008 sichtbar, dass es 2010 zu einem Engpass bei den Kitaplätzen kommt.

Die Zahl der Geburten blieb im Jahr 2008 relativ gleich, im Jahr 2009 stieg sie sogar auf 1508. Eigentlich eine Entwicklung, die sich jede Kommune wünscht und über die man sich nur freuen kann. Allerdings kann eine Kommune einen solchen Anstieg nicht einfach „so“ verkraften, sondern muss die entsprechende Infrastruktur schaffen. Zum Glück kommen Kinder ja nicht irgendwann in den Kindergarten, sondern haben einen Rechtsanspruch ab dem 3. Geburtstag. Zumindest der Anspruch auf einen Kindergartenplatz ist also absolut vorhersehbar.

Was ist aber passiert? Die Ampelkoalition hat zwar viel Geld in den U3 Ausbau gesteckt (allerdings trotz allem noch nicht genug) und für den Kita Bereich allen Warnungen zum trotz darauf bestanden, dass bestimmt noch viele Familien wegziehen bzw. dass man dann halt die Gruppen etwas größer machen müsse, dann würde man das Plus an Kindern schon irgendwie unterbringen.

Wie gut das funktioniert hat erleben neben den Eltern, die monatelang in der Unsicherheit leben, ob, wie und wo ihr Kind betreut sein wird, während sie ihre Berufstätigkeit wieder aufnehmen bzw. während ein Wechsel von U3 – Kita – Betreute Grundschule/Hort stattfindet jetzt vor allem die Kinder.

Irgendwie sieht dann nämlich so aus:

  • Ausschöpfen aller Reserveplätze bzw. absolutes Ausschöpfen der in der Mindestverordnung festgelegten Gruppengrößen
  • Neuschaffung von Gruppen in unzureichenden Räumlichkeiten, z.B. ein Hort ohne Außengelände, pädagogisch mehr als Fragwürdig
  • Veränderungen der Betriebserlaubnis einzelner Einrichtungen, damit mehr Kinder   aufgenommen werden können
  • Gründung neuer Gruppen, von denen feststeht, dass sie nur ein Jahr in einer bestimmten Räumlichkeit blieben können und dann wechseln müssen (wohin ist unbekannt)…

Verschärft wird das Ganze noch durch den Deutschlandweit herrschenden Fachkräftemangel, der für den Erziehungsbereich mit 50 000 Fachkräften beziffert wird. An dem ist die Stadt Darmstadt zwar nicht schuld, nur wird es für die Träger immer schwieriger, ErzieherInnen zu bekommen, wenn sich die Arbeitsbedingungen z.B. durch Vollauslastung der Gruppen, schlechte Räumlichkeiten etc. verschlechtern. Es gibt Einrichtungen, die aus Personalmangel das (zu Recht!) hochgepriesene Modell der Darmstädter Zukaufsstunden aussetzen mussten – die vorhandenen Beschäftigten langen gerade noch, um die rechtlich einklagbaren Vormittagsstunden abzudecken, an eine Nachmittagsbetreuung ist gar nicht mehr zu denken.
Viele Umlandkommunen bieten mittlerweile außertarifliche Leistungen für ErzieherInnen an. Diese Lösung hat sicherlich Schwachstellen, trotzdem wäre es schon lange an der Zeit gewesen, ein Konzept zu erarbeiten, wie dem Fachkräftemangel zu begegnen ist.

Die Darmstädter Politik hat in den letzten Jahren nur auf die Quantität der Betreuungsplätze geachtet (und einen Qualitätsdiskurs konsequent vermieden – und das, obwohl doch ständig die Rede von dem Bildungsauftrag dieser Einrichtungen ist), trotzdem stehen wir heute durch Fehlplanungen bzw. dem Ignorieren von „harten Fakten“ (nämlich der Geburtenzahl) im Kinderbetreuungsbereich schlechter da als jemals zuvor. Die U3 Betreuungsvorgabe von 35 {cc6e9fa4799c65423e7b3aff9df2eb4f369581e8fac009e6ba61f9293a7cdc2c}, auf die ab 2013 ein Rechtsanspruch besteht und der Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz werden nicht erfüllt bzw. nur unter Missachtung herkömmlicher Qualitätsstandards, im Bereich der Schulkindbetreuung ist die Situation so verzweifelt, die Plätze so rar, die Eltern aber gleichzeitig schon so resigniert von dem jahrelangen Kampf um Betreuungsplätze, dass man gar nicht weiß wie viele Kinder in Darmstadt nachmittags allein zurecht kommen müssen bzw. wie viele Elternteile ihre Berufstätigkeit einschränken mussten. Es ist mittlerweile usus an vielen Darmstädter Grundschulen, dass Kinder der 3. und 4. Klasse gar nicht mehr aufgenommen werden. Was für Erwartungen, was für ein Anspruch wird hier an Eltern und 8-10 Jährige Kinder gestellt, alleine zurecht zu kommen?

Leider scheint auch die neue Koalition nichts aus den Fehlern der Vergangenheit
gelernt zu haben. Denn schon wieder wird eine falsche Priorität gesetzt.

  • Warum wird für die Kinderbetreuung ein 5 Mio. Euro Sofortprogramm und für die Straßensanierung/Radwege ein 20 Mio. Euro Sofortprogramm aufgelegt?

Wenn man es wenigstens bis nächsten Sommer schaffen möchte, annähernd ausreichend Betreuungsplätze zu schaffen, dann muss erstmal massiv viel Geld in diesen Bereich gesteckt werden – 5 Mio. Euro sind nicht ausreichend, denn gerade wenn beim Bauen etwas schnell gehen soll, wird es teuer. Auch das Anwerben bzw. die Bindung von Fachkräften im erzieherischen Bereich wird Geld kosten.

Die wichtigste Aufgabe der Kommune ist die Daseinsvorsorge, die Schaffung von Kinderbetreuungsplätzen ist wiederum ein elementarer Teil der Daseinsvorsorge. Viele Straßen in Darmstadt sind in einem miserablen Zustand, keine Frage – eine existenzielle Bedrohung ist das aber für Keinen von uns. Ob man aber einen Betreuungsplatz hat oder nicht ist ein existenzielles Problem für die betroffenen Familien. Soll diese Missachtung der Bedürfnisse von Familien in Darmstadt ewig so weitergehen?

Ein Kommentar

  1. Jooohh, kerstin…,
    das ist in seiner realität echt bedrückend und dieser heuchlerei muss gegengesteuert werden.
    Zu allem frust fällt mir hierzu noch der blöde spruch ein, der sich hier leider mal wieder bewahrheitet:
    “was ist des deutschen liebstes kind?”

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